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zukunftsaussichten16

Mit dem Auto von morgen in eine andere Schweiz

Die technischen und sozialen Innovationen im Verkehrssektor der letzten zehn Jahre – von der Elektrifizierung des automobilen Antriebsstrangs („eMobility“), über den Einzug einer globalen Share Economy in den MIV („shared mobility“) bis hin zu einer umfassenden Informatisierung nahezu sämtlicher Verkehrsabläufe („Mobility 4.0“) - lassen bereits heute einen tiefgreifenden Wandel das Gesamtmobilitätssystems in den Industrienationen erkennen. Im Zentrum dieses Transformationsprozesses steht erneut das Motorfahrzeug selber, als Dreh- und Angelpunkt einer modernen Güter- und Personenmobilität.

Dieses Motorfahrzeug, eingesetzt als Personen- oder Gütertransportmittel, verändert sich nun grundlegend und wird zunehmend zu einem gänzlich neuen dekarbonisierten, deprivatisierten und digitalisierten Mobilitätswerkzeug, das sowohl die etablierten Geschäftsmodelle der heutigen Transportbranche als auch die bestehenden ordnungspolitischen Rahmensetzungen im Verkehr tiefgreifend verändert. Allen voran der Einzug von grossen ICT-Unternehmen und Internet-Konzernen, aber auch der von kapitalstarken Start-Ups ausgelöste Veränderungsdruck, stellen den klassischen MIV und ÖV heute gleichermassen vor neue Herausforderungen. Es sind diese Treiber auf dem neuen Mobilitätsmarkt, die mit ihren disruptiven Technologien nicht nur alternative automobile Nutzungsmodelle ermöglichen, sondern das herkömmliche Motorfahrzeug auch gleich gänzlich neu erfinden. War das Auto oder der Lastwagen in der Vergangenheit noch Teil eines stark dezentralisierten gross-technischen Systems, an dessen Nutzer-Interface – dem Volant – noch eine Lenkerin oder ein Lenker sass und in das System durch eine Vielzahl persönlicher Entscheidungen und individueller Handlungen folgenreich eingriff, so erscheint das morgige Motorfahrzeug als ein halb- oder vollautomatischer „Travel-Pod“, der sich „autonom“, d.h. lenker(innen)los, durch den Alltagsverkehr bewegt.

So vergeht heute kaum noch ein Tag, an dem nicht über das fahrerlose Google-Car, sein Pendant bei Apple (an dem angeblich 1000 Ingenieure arbeiten sollen), den ersten autonom fahrenden Mercedes-LKW auf bundesdeutschen Autobahnen, das „selbststeuernden Swisscom-Auto“ oder das erste „chauffeurlose Postauto“, das 2016 im Wallis versuchsweise unterwegs ist, zu lesen ist. Gleichsam mit diesen Meldungen werden die Erwartungshorizonte geweckt: Mit dem Google/Apple-Car muss niemand mehr im Verkehr sterben, weil niemand mehr selbstlenkend rasen kann; Autos kommen per „App“, angefordert von unseren Kindern, die sie dann auch mit einem „Tip“ auf dem Head-Up-Display starten; autonome Apple-Autos fahren 23 Stunden, anstatt zu stehen und machen so Platz für mehr Velobahnen in den Städten; fahrerlose LKWs entlasten die verstopften Nationalstrassen und gleichsam auch den Güterverkehr auf der Schiene; nahezu 90 Prozent aller privaten Fahrzeuge können durch autonome Fahrzeuge ersetzt werden und ein autonomes Auto ersetzt 42 herkömmliche, so jüngst noch das Deutsche Institut für Automobilwirtschaft.

Unbestritten ist, dass jenseits dieser Heilsversprechen das voll-automatisierte Auto die bestehende Verkehrswelt einer Neuordnung unterwerfen wird. Bislang weder wissenschaftlich geklärt, politisch gefasst oder unternehmerisch umgesetzt, ist jedoch welche der zuvor genannten „evolutionären“ oder „revolutionären“ Veränderungen, wie auf das Verkehrssystem in der Schweiz wirken werden. Was genau sind die intendierten und/oder nicht-intendierten Wirkungen auf die Verkehrsentwicklung in der Schweiz? Welche Handlungsperspektiven ergeben sich vor dem Hintergrund dieser Umwälzungen für die Verkehrsexekutive und -legislative auf Bundes-, Kantons- und Stadt- bzw. Gemeindeebene? Wer von den heutigen und morgigen Akteuren auf den unterschiedlichen Verkehrsmärkten ist bei all diesen Entwicklungen „matchentscheidend“ - wer gewinnt und wer verliert? Wie also sieht morgen eine „autonome Mobilität“ in der Schweiz aus?

Diese hier angefragten Umwälzungen im Schweizer Verkehrssektor sind für sich genommen schon beindruckend genug. Fragen wir uns zudem, was das für die Zukunft des angrenzenden Energiesektors bedeutet, lässt sich erahnen wie kolossal die mobilitätsinduzierten Herausforderungen auch in der Energiewirtschaft sein werden – für die Erdölimporteure, die Stromerzeuger, die Anlagenhersteller, bis hin zu den Installateuren und Haustechnikern: letztlich ein phantastisches Duett aus Energie- und Autowende!

Autor: Dr. Jörg Beckmann, Direktor Mobilitätsakademie