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Avatar Mobility

Wie bewegen wir uns in der Zukunft? Der folgende Beitrag ist der Enzyklopädie für Zukunftsfragen – kurz Futurpedia – entnommen, die Teil des Buches «Schubumkehr. Die Zukunft der Mobilität» ist. Heute im Fokus: Virtuelle Kommunikations- und Arbeitsplattform zur Reduzierung von Pendlerverkehren.

Hintergrund
Anfang des Jahrtausends schwollen die werktäglichen Pendlerströme in den Industriestaaten zum größten Verkehrsproblem an – verbunden mit einer massiven Beeinträchtigung der Gesundheit und der Arbeitsmotivation. Die gesellschaftlichen Wohlfahrtsverluste wurden Ende der 2010er Jahre alleine für Europa auf einen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr taxiert. Erst die Mitte der 2020er Jahre etablierten Avatar Mobility Systeme führten zu einer deutlichen qualitativen Aufwertung der Home Office-Alternative und waren damit der entscheidende Impuls zur Einführung neuer Arbeitsplatz- und Präsenzzeitmodelle.

Avatar Mobility Systeme
In Anlehnung an den ersten groß angelegten Versuch, virtuelle Welten als Dritte Orte geschäftlicher Treffen und interaktiver Arbeit zu nutzen, wird die Avatar Mobility auch als Third Life bezeichnet. Anders als bei den bis vor wenigen Jahren üblichen Videokonferenzsystemen sehen sich die Besprechungsteilnehmer nicht mehr persönlich gegenseitig auf dem eigenen Monitor, sondern befinden sich gemeinsam in einem virtuellen Raum, in dem sie jeweils durch ihren persönlichen Avatar vertreten werden. Per Videobrille, Maus und Internetverbindung steuert man sein Double durch Raumwelten, die nicht selten anlassspezifisch gestaltet sind und deren Atmosphäre die Produktivität und Kreativität des Treffens positiv beeinflussen sollen. Für einen Bruchteil der Investitions- und Betriebskosten betonierter Unternehmenskomplexe entstehen auf gemieteten Serverfarmen allzeit saubere und nicht selten räumlich beeindruckende Arbeits- und Präsentationsumgebungen im Cyberspace. Diese sind leicht in der Größe skalier- und modernisierbar, müssen nicht beheizt werden und sind mit der entsprechenden Zugangsberechtigung innerhalb von Sekunden aus jedem Winkel der Welt klimaschonend erreichbar. Insofern heißt das Motto nicht mehr nur infrastrukturbezogen „from bricks to clicks“, sondern vor allem auch verkehrssparsam „from vehicle to virtual“.

Aufbauend auf Fortschritten der Computerspielindustrie taucht der Nutzer innerhalb kürzester Zeit vollständig in die künstliche Welt ein. Er bewegt sich mit seinem Avatar durch Avatar-Gruppen und kommuniziert über ihn mit einzelnen oder zwanzig Mitarbeitern wie im traditionellen Büroalltag. Neben den schnell einzurichtenden Heimarbeitsplätzen sind riesige so genannte Avatar Mobility Center gegründet worden. In diesen verkehrlich sehr gut angebundenen Gemeinschaftsbüros können Einzelplätze oder ganze Etagen für die Avatararbeit gemietet werden.

Verkehrliche Wirkung
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den Arbeitsergebnissen haben sich Avatarmeetings aber zum Standard in vielen Wissensarbeitsbranchen entwickelt. Vereinzelt existieren noch Mischsysteme, bei denen die Mitarbeiter beispielsweise über Telepräsenzroboter an physisch durchgeführten Sitzungen teilnehmen. Verkehrsseitig hat dies zu einer erheblichen Reduzierung des Verkehrsaufkommens in den ehemaligen Spitzenstunden des Berufsverkehrs geführt. Viele geplante Ausbaumaßnahmen konnten zum Vorteil der öffentlichen Haushalte gestrichen werden. Die Befürchtungen, die Avatararbeiter würden die gewonnene Zeit verstärkt in verkehrsintensive Freizeitaktivitäten investieren, bewahrheiteten sich nicht.

 

Der Autor:

Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher und Leiter Studiengang Verkehrssysteme an der ZHAW School of Engineering