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Caring Mobility (Beyond Sharing)

Wie bewegen wir uns in der Zukunft? Der folgende Beitrag ist der Enzyklopädie für Zukunftsfragen – kurz Futurpedia – entnommen, die Teil des Buches «Schubumkehr. Die Zukunft der Mobilität» ist. Heute im Fokus: Caring Mobility, das seit 2025 dominierende Leitbild kommerzieller Mobilitätsdienstleistungen.

Hintergrund

Anfang der 2010er Jahre wurde in den Industrieländern ein wachsender Trend hin zu anbieter- und verkehrsträgerübergreifenden Mobilitätsdienstleistungen sichtbar. Besondere Dynamik erhielt die Entwicklung mit der Abkehr der großen Automobilhersteller von der reinen Fahrzeugproduktion und deren Positionierung als komplette Mobilitätsdienstleister. Die Leistungsexplosion bei den Informationstechnologien löste ein neues Kooperationsparadigma in der Branche aus. Zuvor solitär betriebene Angebote wie Pw-Mitfahrt, Bahnreise und Mietrad ließen sich über die neuen Datenbrücken und -autobahnen zu kinderleicht such-, buch- und abrechenbaren Mobilitätsangeboten von Tür-zu-Tür verknüpfen. Es war der Beginn der Sharing-Ära, die nur auf den ersten Blick durch den Aufstieg des „Nutzen statt Besitzen“-Mottos geprägt wurde. Mindestens von ebenso grosser Bedeutung wie das Teilen von Autos, Fahrten und Velos durch die „Gebraucher“ war das Teilen der Daten auf Seiten der Mobilitätsdienstleister. Die Vorhersage, Daten würden sich zum Öl des 21. Jahrhunderts entwickeln, hatte sich bewahrheitet. Während auf den Strassen inzwischen die Elektromotoren surrten, waren die Daten im Hintergrund zur eigentlich treibenden Kraft geworden. Nachdem sich die Differenzierungsmöglichkeiten durch das (Daten-)Sharing erschöpft haben, wird nun über innovative Caring-Produkte um Marktanteile gerungen.

 

Caring-Mobility-Philosophie

Das Sharing-Konzept ermöglichte es dem Nutzer, sich IT-unterstützt ein persönliches Fahrtenangebot durch Zusammenstellung unterschiedlichster Transportmittel fallspezifisch zu generieren. Der Caring-Ansatz geht noch einen Schritt weiter: Nicht nur vollumfängliche Information und automatische Abrechnung werden gewährleistet, sondern vor dem Hintergrund des Nutzerprofils vorausschauend die beste Mobilitätslösung antizipiert und dem Kunden Entscheidungsprozesse abgenommen. Ziel ist das Outsourcing belastender Mobilitätsplanungsprozesse aus dem Bewusstsein oder vereinfacht: Der Kunde soll den Käse nur noch essen müssen – und nicht mehr an füttern, melken, käsen, transportieren etc. denken. Das alte Leitbild des Nutzens ohne Nachdenken in Vollendung. Raumüberwindung bei höchstmöglichem Komfort ist der Anspruch. Kuratorsysteme lernen persönliche Präferenzen aus der Vergangenheit, wählen passende Mobilitätsoptionen eigenständig aus und routen den Nutzer flexibel um, wenn sich kurzfristig passgenauere Alternativen anbieten. In dieser Philosophie ist Mobilität kein Selbstzweck, und der Dienstleister wird zum sorgenden Diener mit der Kernaufgabe, dass nicht mehr nur alles im Fluss bleibt, sondern der Kunde gleichsam durchs Leben gleitet. Der Nutzer gibt seine Rolle als Dirigent des Orchesters der Optionen ab. Stattdessen wechselt er von der Bühne in den Zuschauerraum und genießt nur noch das Zusammenspiel.

Marktresonanz

Angesichts der zunehmenden Komplexität der Lebensentwürfe und der Alltagsgestaltung wurden Caring Mobility Services als bedeutende Entlastung wahrgenommen und verzeichneten starke Wachstumsraten. Sie waren der Gegentrend zu der noch Anfang des Jahrtausends zu beobachtenden Ikearisierung. Diese hatte den Verbraucher immer enger in die Produktion einbezogen, um personalintensive Prozesse kostensenkend zu verringern. Dieses so genannte Prosuming war anscheinend an die Grenzen der Kundenakzeptanz gestoßen, der mit seinem Zeitbudget lieber anderes anfangen wollte, als optimale Wegeketten zu ermitteln und Fahrzeuge selber zu lenken.

Der Autor:

Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher und Leiter Studiengang Verkehrssysteme an der ZHAW School of Engineering